Ein Thema ist in letzter Zeit auf jeder kulturpolitischen Traktandenliste aufgetaucht: KI, Künstliche Intelligenz. Kaum eine Woche vergeht ohne Nachrichten darüber, was mit der KI neuerdings auch oder zumindest einfacher gemacht werden kann. Die Digitalisierung verändert die Welt und die Berufe, das ist nicht neu. Die roten Wellen auf dem Bildschirm unter jedem meiner Tippfehler, kenne ich seit vielen Jahren. Wir delegieren unsere Verantwortung an die Technik, weil es praktisch ist. Warum vor der Autofahrt Kartenlesen, wenn einem das Navi zum Ziel bringt? Dass wir dabei lange aufgebaute Fähigkeiten verlernen, ist uns zwar irgendwie bewusst, aber am Ende des Gedankens ist es halt „doch einfach gäbiger“.
Mit Roboterhirnen wie Chat GPT hat die Digitalisierung einen neuen Schub bekommen: Sie agiert zunehmend autonom, und sie kreiert jetzt auch. Aber die Kreativität der KI ist ein Trugbild: KI kreiert nichts, sie kombiniert bloss Vieles, was bereits einmal kreiert wurde. KI vernetzt das Bestehende. Dabei geht ihr eine der zentralen Eigenschaften von Intelligenz noch ab: Sie zweifelt nicht an ihren Quellen, sie kombiniert nach Wahrscheinlichkeit, aber ohne gesundes Misstrauen. An ihrer hyperschnellen Verbreitung ändert diese Schwäche gefährlicherweise nichts.
Im kulturellen Bereich ist KI erst letztes Jahr so richtig im Bewusstsein angekommen, als die amerikanischen Film-Autoren und -Schauspielerinnen gestreikt haben, um in Verträgen das Recht an ihren Ideen, ihrem Bild, ihren Stimmen behalten zu können, dass man Aufnahmen von ihnen nicht ohne Zustimmung und Vergütung weiterentwickeln darf. Das klang zunächst nach Science Fiction. Dann wurde bekannt, dass man theoretisch bereits heute keine Sprecherinnen mehr braucht: Film- und TV-Produzenten können mit einem Stimmsample jede Stimme in jeder beliebigen Sprache generieren lassen. Und es geht nicht nur um den Ton: Ein Tom Hanks-Film, für den er nie vor der Kamera stehen musste, wird zunehmend denkbar.
In der Musik passiert es jetzt auch. KI-Software lässt einem mit ein paar Stichworten tausende Songs pro Tag generieren. Sie klingen noch sehr künstlich. Aber man muss zugeben: Die Klangästhetik der Popmusik ist in den vergangenen 20 Jahren immer stärker elektronisch geworden. Viele Stimmen und Töne sind so stark digital bearbeitet, dass sie kaum anders klingen als die generierten Versionen aus der KI. Dasselbe gilt für die Bildbearbeitung: Viele Menschen zeigen sich auf Social Media hinter Fotofiltern, mit denen sie kaum echter aussehen als KI-Avatare. Man könnte sogar hämisch bemerken: Wir haben unsere Welt so künstlich optimiert, dass sie auch generiert sein könnte. Wir haben quasi unsere Selbstabschaffung vorweggenommen.
Der Philosoph Rüdiger Safranski hat in seinem Buch „Das Böse“ eine beunruhigende Idee festgehalten: Gott hat die Menschen selbstverantwortlich geschaffen, und die Menschen haben irgendwann beschlossen, ihn nicht mehr zu brauchen. Nun hat der Mensch ein zunehmend selbstständiges digitales Geschöpf hervorgebracht, dass ihn bald einmal genauso wenig brauchen wird. Wenn wir uns alle einig wären, könnten wir einfach den Strom abstellen. Aber wann sind wir uns schon einig? Wir Menschen haben eine Tendenz dazu, auch unsere gefährlichsten Ideen bis zum Ende durchzuspielen. Vielleicht bis die KI ihrerseits uns den Strom abstellt.
Gleichzeitig dies: Kürzlich hat eine durchreisende Band in unserem Garten gespielt, unverstärkt auf akustischen Instrumenten, vierstimmig gesungen. Und wir haben alle getanzt und mitgesungen wie bei einem Festival, bei dem für 500‘000 CHF Infrastruktur aufgestellt wird. Die wirklich wichtigen Elemente unseres Zusammenlebens sind uralt und brauchen keine Technik. Mir selbst wird bewusst, wie oft auch ich auf digitale Mittel ausweiche bei Dingen, die seit Generationen Teil unserer gesellschaftlichen (und familiären) DNA waren: Eine Playlist für die Kinder statt selbstgesungenes Gute Nacht-Lied. Gschichtli von der CD statt selbst hinsitzen und erzählen. Ich habe essenzielle Bedürfnisse auch unserer Kinder an die Technik delegiert, und vielleicht ist das ein Weg zu rebellieren: Wieder selber singen, erzählen, fabulieren, Spiele erfinden. Auf dass die nächste Generation Ideen hat, was sie tun kann, wenn der Strom ausgeht.