Ich habe Zeitung gelesen und schon bei den ersten Zeilen eines Artikels über Impfkritik habe ich sofort die ganze Runde am Frühstückstisch informiert, wie sehr mich das aufregt, dass so oft nicht primär sachliche Informationen transportiert werden, sondern Meinungen, dazu noch massiv (ab)wertende Meinungen. Die Aufregung hat viel mit den vergangenen Wochen zu tun: Zuzusehen, wie sich in Amerika fast die Hälfte der Bevölkerung von den gerichtlich geklärten Fakten abwendet, das war schockierend. Fast die Hälfte einer Bevölkerung, die den Medien, den politischen Parteien, den Gerichten und den Geheimdiensten das Vertrauen entzieht. Das ist krass.

Und eben, gleichzeitig wir, hier, im zweiten Lockdown: Die Massnahmen des Bundes, deren Timing und Ausgestaltung Fragen aufwerfen, besonders seit der leidigen Geschichte mit den Masken ganz zu Beginn steht alles unter dem unschönen Verdacht, dass man uns nicht die ganze Wahrheit sagt. Gegenüber eine bunte Schar von kritischen Stimmen, die aus dem unschönen Verdacht teils haarsträubende Verschwörungstheorien zimmern, teils aber auch einfach nüchtern-sachliche Fragen stellen. Und dazwischen die Medien, die allzu oft alles Kritische vorverurteilen und allzu selten den berechtigten Fragen ernsthaft forschend auf den Grund gehen. Diskussionen verschieben sich ins Netz, wo die Leute einander entweder lauthals zustimmen darin, alle anderen seien blöd und blind, oder aber einander nicht zustimmen und deshalb auch anschreien. Die Fronten verhärten sich, Dialog wird immer schwieriger.

Und das erscheint mir allzu oft unser Weg nach Amerika. Corona löst bei uns ähnlich katastrophale Tendenzen aus, wie sie in den USA zur aktuellen Situation geführt haben: Es gibt parallele Wahrheiten, und man misstraut allen, die eine abweichende Perspektive vertreten.

(Das zentrale Problem dünkt mich gar nicht so geheimnisvoll: Es gibt die Wahrheit (noch) nicht. Es weiss noch niemand endgültig, wie lange die Krise noch dauern wird, ob die Impfung Langzeitschäden bringen könnte, ob sich wirklich eine Herdenimmunität ergeben wird. All das und noch viel mehr kann man noch nicht wissen. Anderes wird man niemals wissen, zum Beispiel, wie viele Menschen ohne Corona dieses Jahr an einer anderen Grippe gestorben wären und ob es da auch eine so eindeutige Übersterblichkeit gegeben hätte. Niemand kann uns eine ganze Wahrheit sagen, weil es keine gibt. Das ist neben den menschlichen Verlusten, der wirtschaftlichen Not und den Einschränkungen, unsere grosse Herausforderung in dieser Zeit: «Ich weiss es nicht» zu sagen, und das auszuhalten ohne uns auf halbgare Antworten zu stürzen.)

Und dann so ein Zeitungsartikel. Er begann damit, dass die Impfskeptiker einem «leid tun könnten». Ich habe 5 Minuten über all das geschimpft, was hier oben auch geschrieben steht: Wir brauchen Medien, die Gräben nicht vertiefen, sondern sachlich den inneren Frieden stärken usw. Danach habe ich endlich weitergelesen und festgestellt, dass der Artikel zwar einen unglücklichen Einstieg hatte, aber schliesslich eine ziemlich ausgewogene und faire Darstellung der Geschichte von Impfskepsis war, der durchaus respektvoll mit den kritischen Stimmen umging.

Ich habe es auch getan, ich bin auch so, musste ich merken. Ich habe nur Bestätigungen meiner bereits gefassten (Vor-)Urteile sehen wollen. Dabei hätte ich mich über ein positives Gegenbeispiel freuen können.

Ja, wir müssen wach und aufmerksam bleiben in diesen Zeiten. Gerade beim Blick in den Spiegel.