Haben Sie die neue SRF Serie «Frieden» auch schon geschaut? Da fiebert man mit, während ein junges Paar in der komplexen historischen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg damit ringt, «das Richtige» zu tun. Ohne das Ende zu verraten: Unterwegs sind sie hin- und hergerissen. Immer wieder scheitern sie auch daran, dass sie ihre Entscheidungen zwar im Bewusstsein für den gesamtgesellschaftlichen Moment treffen möchten, aber dann doch vor allem von ihren persönlichen Hoffnungen, Ängsten und Verletzungen getrieben sind.

Das ist eine Ausgangslage, die wir alle wohl auch kennen. Natürlich ist der geschichtliche Moment nicht wirklich vergleichbar. Wir kommen nicht frisch aus einer Zeit, in der rund um unser Land herum Krieg geherrscht hat. Wir haben nicht nachts die Fenster abgedunkelt, weil wir Luftangriffe befürchteten. Wir haben keine Lebensmittelrationierung erlebt, wir haben keine Väter, Söhne und Brüder an die Grenze geschickt im Bewusstsein, dass dort Angriffe kommen könnten, in denen ihr Leben auf dem Spiel steht.

Trotzdem kann sich auch uns immer wieder die Frage stellen, ob die kleine oder grosse Entscheidung, die wir in unserem Alltag zu treffen haben, auch in einem grösseren Kontext die Richtige ist. Der junge Unternehmer in «Frieden» muss sich entscheiden, ob und wie er mit allfälligen Kriegsverbrechern zusammenarbeiten wird. Ob und wie er Kapital für seine Firma verwenden soll, an dem das Blut der Naziverbrechen klebt. Dass er damit auch Arbeitsplätze schaffen und erhalten kann, das ist sein Dilemma. Ich mochte an der Serie besonders, dass sie es uns nicht einfach macht: Der junge Unternehmer ist kein offensichtlicher Schuft. Bei einem Wissenschaftler aus Deutschland, den er anstellt, ist bis zum Ende nicht klar, ob er im Naziregime aus Überzeugung oder zum Schutz seiner Familie mitgearbeitet hat. Die junge Frau, die sich für Flüchtlingskinder einsetzt, gerät in ein emotionales Durcheinander, in dem sich die Motive für ihre Hilfsarbeit mit sehr privaten Bedürfnissen verheddern.

Es ist nicht schön, das Urteil, das der geschichtliche Rückblick über die Schweiz jener Zeit gefällt hat: Man streitet sich zwar noch darüber, ob die «Neutralität» in damals wirklich nur ein Vorwand war, mit allen Seiten Geschäfte machen zu können. Aber dass es verwerflich war, die gestohlenen, in der Schweiz versteckten Gelder aus dem Krieg über Jahrzehnte zu schützen und zu nutzen, darüber ist man sich einigermassen einig. Oder?

Es ist schwieriger, solche Urteile für die Gegenwart zu fällen, das hat sich an diesem Wochenende wieder mal gezeigt. Wir hatten gleich zwei Initiativen vor uns über die Frage, welche Verantwortung unsere einheimische Wirtschaft übernehmen soll für die Wirkung ihrer Projekte in der Welt draussen. Das Resultat zeigt, dass auch heute (mehr als) die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer bereit sind, die nationalen Interessen höher zu gewichten.

Ich musste an eine Aussage von FDP-Präsidentin Gössi in der Corona-Krise denken: Falls man den Unternehmen verbieten würde Dividenden auszubezahlen, wenn sie Kurzarbeitszahlungen beanspruchen, dann würden die Unternehmen halt Leute entlassen. Das wolle man ja nicht. Kurz: Man kann von den Unternehmen nicht erwarten, das «Gute» zu tun, man kann von ihnen nicht einmal erwarten, primär im Interesse ihrer Mitarbeiter*innen zu handeln, denn es geht um Gewinn und Gewinnausschüttung. Das ist traurig, auch deshalb, weil wir alle wissen, dass es zahlreiche (meist lokal verwurzelte) Unternehmen gibt, bei denen das nicht stimmt, die kämpfen für ihre Mitarbeitenden, in denen die Chefetage auch mal bei sich selbst spart und die mit hohen ethischen Ansprüchen ihr Geschäft gestalten. Trotzdem wird uns von der Politik das Bild einer Wirtschaft vermittelt, deren Gewinnstreben von keinen moralischen und solidarischen Argumenten bewegt werden kann.

Und wir schützen diese «Wirtschaft» mit unseren Abstimmungsergebnissen. Es wird nicht schön sein, das Urteil des geschichtlichen Rückblickes über die Schweiz (und natürlich nicht nur der Schweiz) in dieser Zeit.