Die gesellschaftliche Perspektive entwickelt sich gerade eher zu meinen Ungunsten. Ich bin weiss, männlich und Tag für Tag werde ich älter. Alter weisser Mann. Der Inbegriff des privilegierten Menschen, der bereits genug Platz eingenommen hat in der Geschichte der Zivilisation und nun mal -pardon – ein bisschen die Schnauze halten kann.

Natürlich habe ich mich weder für meine Hautfarbe noch für mein Geschlecht entschieden, noch nicht einmal dafür, ein Besserwisser zu sein. Ehrlich! Ich habe schon früh meinen Senf zu allem gegeben, meine Eltern haben das übrigens nicht besonders geschätzt oder gefördert. Ein geborener Besserwisser, kein herangezüchteter. Ich habe dann als Lehrer, Moderator, Musiker, Lobbyist und Kolumnist lauter Beschäftigungen gesucht, in denen man mir zuhört. Aber: Ich habe ja niemanden gezwungen mir eine Kolumne anzubieten. Ich hätte natürlich Nein sagen können. Aber ich habe mich halt geschmeichelt gefühlt. Ich gebe es zu. Und so einer bin ich nun: Ein weisser Mann, der die ganze Zeit seinen Senf dazu gibt.

Ich bestreite nicht, dass (alternde) weisse Männer mit Anmassung und unverdienten Privilegien die Weltgeschichte dominiert haben. Als jüngerer Mensch hatte auch ich meine liebe Mühe mit der Anmassung der Älteren, sie könnten uns das Leben erklären, obwohl sie offenbar sogar vergessen hatten, wie es war, jung zu sein. Die von jener Männer-Generation noch so lange verteidigten Privilegien gegenüber den Frauen (Wahlrecht, Eherecht usw.) leuchteten mir nie ein: Die Frauen haben (gezwungenermassen, aber erfolgreich) auch während dem Patriarchat die wichtigsten Zellen der Gesellschaft organisiert und bewirtschaftet: Die Sippe und das Zuhause. Von wegen schwaches Geschlecht.

All das kann ich hier schreiben, aber deswegen wird für mich keine Ausnahme gemacht, wenn es heisst: Alte(rnde), weisse Männer, Zeit zu Schweigen! Geschlecht und Herkunft machen mich zum Teil des Problems. Das drängt mich in die Ecke, und ich gebe zu, aus Ärger darüber verteidige ich manchmal nicht nur mich, sondern ich solidarisiere mich auch noch mit den wirklich alten weissen Männern. Wie soll ich mich auf die Argumente einlassen, wenn ich bereits pauschalverurteilt ins Gespräch steigen muss? Ich bin versucht, mich zurückzuziehen und statt einer Bewusstseinsentwicklung meine Selbstverteidigung vorzubereiten. Nachvollziehbar, oder?

Ganz grundsätzlich scheint mir: Wie gültig die inhaltlichen Argumente auch sind, die Idee, mit einem Frontalangriff könne man das Gegenüber gewinnen (gewinnen, nicht besiegen!), ist zumindest pädagogisch ein Unsinn.

Es ist ein bisschen, wie wenn ich in einer anderen Kultur und Religion geboren wäre und nun in einem fremden Land leben müsste. Dort behauptet man zwar, mich und meine Geschwister friedlich integrieren zu wollen. Aber statt mir einladend die Hand zu reichen, hauen mir die Gastgeber zuerst mal drauf, halten mir vor, was meine Religion durch die Geschichte angerichtet habe, und teilen mir mit, dass sie leider von meinen bösesten Absichten ausgehen müssten. Deshalb müsse man präventiv ein paar Merkmale meiner Religion verbieten, Kleidungsstücke zum Beispiel. Als Zeichen. Im Sinne von, herzlich willkommen, aber nimm dich in Acht! Wie soll ich mich auf die Argumente einlassen, wenn ich bereits pauschalverurteilt ins Gespräch steigen muss? Ich würde mich in eine Ecke zurückziehen und statt meiner Integration meine Selbstverteidigung vorbereiten, mich vielleicht sogar mit den radikalsten Vertretern meines Glaubens solidarisieren. Nachvollziehbar, oder?

Zum Glück wäre ja kein gastgebendes Land so dumm, eine pädagogisch dermassen unsinnige Integrationspolitik zu machen…