Kennen Sie den Witz: Empörte Ostschweizer Eltern schauen auf dem Spielplatz einem frechen Jungen zu.
«Daa de da?»
«Ja, da daa de.»
«Da de da daa!»
(Ich bitte die Ostschweizer Frutigländer-Leserschaft um Verzeihung, Sie dürfen jetzt gerne ein paar Berner Witze machen.) Der Witz fällt mir immer wieder mal ein, wenn ich die Zeitung lese. Oder Dokus schaue. Erstaunlich, was man alles darf!

z.B. kürzlich «Dirty Little Secrets», ein Film über Spotify, den grössten Musikstreamingdienst der Welt. Darin sieht man, wie Musikschaffende (jetzt bitte ich alle um Verzeihung) verarscht werden vom wichtigsten Anbieter ihrer Werke. Spotify hat in den Jahren der Internetpiraterie ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dem unsere Arbeit zwar wieder legal konsumiert wird, wir aber trotzdem kaum mehr Einnahmen damit machen. Ich kann das illustrieren: Meine Musik ist seit 2015 auf Spotify, bis auf zwei Alben alles unter meiner Kontrolle. Ich habe in diesen 8 Jahren an nicht ganz 400’000 Streams nicht ganz 1500 CHF verdient. Also nicht ganz 200 CHF im Jahr. Einen Monat Proberaummiete. Inzwischen weiss man auch, dass Spotify viel tut, damit vor allem Dinge gehört werden, die sie noch weniger kosten. Angeblich (und jetzt zitiere ich ungesicherte Quellen) sagt man bei der Firma intern, man sei ja nicht im Musikbusiness, sondern im Abo-Business. Auch wenn das Gerücht nicht stimmt, ist es wahr. Ausbeutung, ja klar. Aber die dürfen das. Alles legal.

Zu lesen war auch, dass der Kanton Zug wegen der OECD-Steuergesetzrevision nun in Betracht ziehe, aus den steuerlichen Mehreinnahmen Projekte zur «Förderung von Umwelt- und Sozialverträglichkeit des Rohstoffabbaus» zu finanzieren. Sprich: Weltkonzerne, die ihre Geschäftsstellen aus Steuergründen in der Schweiz haben, würden dann aus Steuergeldern dafür bezahlt, die Arbeitsbedingungen und Umweltverträglichkeit ihrer Ausbeutung etwas zu verbessern. Als ob das nicht längst überfällig und ihre eigene Verantwortung wäre. Darf der Kanton Zug das? Ja, da daa de. Auch die Schweiz hat ein Herz für Verwaltungsräte, die mit dreckigen Händen und sauberen Hemden irgendwo im klimatisierten Norden sitzen.

War noch was? Ah ja, Schweizer Tabakkonzerne und gewisse Bereiche der Landwirtschaftschemie: Produkte, die in der Schweiz nicht verkauft (und in der EU teils nicht einmal mehr hergestellt werden dürfen) wegen ihre Giftgehalts, werden weiterhin gewinnbringend in Länder verkauft, in denen man sich menschen- und umweltverträgliche Grenzwerte noch nicht leistet oder nicht leisten kann. Natürlich: Die Firmen dürfen das, es ist legal.

Ein Blick an die Börse, Pulsader der Weltwirtschaft: Man wettet auf den Niedergang ganzer Branchen und macht Gewinn, wenn es eintrifft. Legal. Wird im Studium unterrichtet. Ein marktwirtschaftliches Werkzeug halt.

Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber manchmal finde ich es schwer zu begreifen, wie vieles von Legalität geschützt wird, was offensichtlich falsch (und ja: böse) ist. Man könnte mit belegten Beispielen dieser Art problemlos diese ganze Zeitungsausgabe füllen. Die kapitalistische Wirtschaft floriert in den Gesetzeslücken der Welt. Gut ist nicht, was richtig ist, gut ist, was rentiert. Und Parlamente weltweit beugen sich dieser Logik.

Wo es doch eigentlich einfach wäre: Was ich meinem Kind nicht füttern würde, biete ich auch dem Nachbarskind nicht an. Egal, ob es legal ist.

Das Umgekehrte passiert auch: Die von der Migration massiv geforderten Länder am Mittelmeer lassen Menschen ertrinken, weil gewisse Formen der Seerettung illegal gemacht wurden. Das offensichtlich Richtige wird nicht getan, weil es illegal wäre.

Manchmal bleibt einem nur die Hoffnung, dass sich die Welt in eine Zukunft weiterentwickelt, aus deren Perspektive unsere Gegenwart dereinst genauso hart verurteilt werden wird, wie sie es verdient. Und die (ein letztes Mal pardon) Verarschung der Musikschaffenden wird eines der harmlosesten Beispiele sein.

(Quellen: «Dirty Little Secrets», in der ARD-Mediathek. Tagesmedien & www.publiceye.ch, ehem. «Erklärung von Bern». Gut durchatmen und reinschauen.)