Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber ich weiss eigentlich fast nichts. Kürzlich war ich mit den Kindern im Zoo. Ich sagte gerade zur Fünfjährigen, der grünblaue Fisch sei viel zu gross für einen Piranha, als mich ein freundlicher Herr in der Nähe korrigierte. Auch ein Schild gab ihm Recht. Also gut, gibt es halt grosse Piranhas. Ich habe keine Ahnung. Ich wusste auch nicht, ob es stimmt, dass Eulen ihren Kopf 360° drehen können. (Es sind 270°.) Nun kann man sagen: Es gibt Wichtigeres.

Ich tippe diesen Text auf dem Computer, ich sehe ihn als A4 Seite vor mir, und morgen früh verschicke ich ihn per E-Mail an die Redaktion, die ihn digital ins Layout des Frutigländers einpasst und in einem grossen File an die Druckerei schickt. Dort wird eine Zeitungsseite gedruckt. Von all dem verstehe ich eigentlich nur, dass Tinte auf Papier eine Spur hinterlässt. Die meisten von uns können die technischen Hintergründe unserer Alltagsgegenstände und -tätigkeiten nicht mehr ansatzweise nachvollziehen. Alles, was wir auch über die Natur nicht wissen, kommt dazu. Ebenso eine stetige Informationsflut, in der wir einiges mitbekommen, vor allem aber dauerkonfrontiert sind damit, was alles auch noch wäre, was wir aber nicht vertiefen, geschweige denn selbst überprüfen können. Eigentlich kann man uns irgendwas erzählen, wir sind ausgeliefert.

In dieser Verwirrung sucht man Halt. Ich habe gerade zum ersten Mal vom Begriff der «intuitiven Plausibilität» gelesen: Wir glauben etwas, weil uns die Argumente auf Anhieb überzeugen und sich richtig «anfühlen». Der Begriff stand in einem Artikel über Menschen, die glauben, dass die Erde flach ist. Ihre Intuition (also ihr Bauchgefühl) sagt: Wenn die Erde eine Kugel wäre, würden die unten ja davon wegfallen. Wenn die Erde sich wirklich so schnell drehen würde, müssten die Meere ja wegspritzen. An Gravitationskraft, die Anziehungskraft von Materie, glauben sie nicht. Das ist zu kompliziert. Das klingt nach einem Ablenkungsmanöver jener, die die «offizielle Version» kontrollieren. Die Zweifel an allem, was «offizielle Version» ist, nähren sich an schlechten Erfahrungen mit offiziellen Versionen. Wer glaubt schon noch, dass Regierungen und die inzwischen politisierten Wissenschaften ehrlich sind zu uns? Ihre komplizierten Theorien sollen uns doch bloss das Gefühl geben, dass wir dümmer sind und ihnen vertrauen müssen.
Ich kann diese Perspektive insofern nachvollziehen, dass auch ich die Formeln zur Gravitationskraft nicht verstehe. Der Reiz ist gross, stattdessen zu glauben, was ich auch verstehen kann. Zum Beispiel, dass Dinge dann runterfallen, wenn sie schwerer sind, als die Dinge unter ihnen. Wenn unter einem Stein also nur Luft oder Wasser sind, dann geben Luft und Wasser nach und der Stein fällt. Da braucht es keine komplizierte Gravitationskraft, es geht nur um Materialeigenschaften. Das klingt auf Anhieb plausibel. Ausser natürlich, man denkt noch ein paar Sekunden weiter und merkt: Hm, warum «fällt» der Stein nicht seitwärts, wo auch bloss Luft ist?
Intuition, die sich auf ihre erstbeste Idee verlässt, ist vielleicht nicht die ideale Grundlage für ein technisches Weltbild.

Als richtig schlechter Mathe-Schüler habe ich mit der Physik erst Frieden geschlossen, als mir bewusst wurde, dass sie ja bloss mathematisch eine Welt erklärt, die es ohne ihre Formeln auch gibt. Ich würde auch nicht von der Erde wegschweben, wenn Gravitationskraft nie rechnerisch erklärt worden wäre. Oder Biochemie: Auch vor der noch andauernden Entschlüsselung des menschlichen Genoms war es bereits offensichtlich, dass neben Haarfarben auch «das Gemüt» und sogar Themen aus Generationen der Familiengeschichte mitvererbt werden. Ist das biochemisch im Körper gespeichert? Spannende Frage, aber nicht entscheidend.

Die Forschung (also organisiertes Nachdenken und Ausprobieren) kann diese komplexe Welt wohl besser fassen als die Intuition. Aber dort, wo die Intuition kompetent ist, im Erfahrungsschatz, hilft sie auch, ganz praktisch. Sie weiss: Frische Luft tut gut. Auch YouTube lügt. Freundlichkeit erzeugt mehr Freundlichkeit, das ist schön. Niemand weiss alles, ich muss auch nicht.