Haben Sie sich auch schon gefragt, warum das neue Jahr nicht am Tag nach der Wintersonnenwende beginnt? Stattdessen ist dieser kosmisch bedeutende Wendepunkt in unserer Umlaufbahn um die Sonne nun der 21.12., einfach so ein Tag, und erst zehn Tage später wechselt dann das Kalenderjahr. Seltsam, oder?

Ich habe gerade eine Doku-Serie geschaut, «Ancient Apocalypse». Sie geht der Frage nach, warum es so viele uralte Bauwerke gibt, von denen man sich nicht erklären kann, wie sie in ihrer Komplexität errichtet werden konnten von den Jäger-Sammler-Gemeinschaften, die zu der Zeit gelebt haben. Leider ist die Serie nicht so gut.

Der Journalist, der sie geschrieben hat, Graham Hancock, ist versessen darauf, sich an allen Archäolog*innen zu rächen, die seine Theorien nicht ernst nehmen (wollen). Und er will unbedingt belegen, dass es eine hochentwickelte Kultur gegeben haben muss, die in der Eiszeit untergegangen ist, aber deren Überlebende als hochgebildete Reisende diese plötzlichen Entwicklungssprünge ermöglicht hätten: Sie haben den unterentwickelten Völkern ihr Wissen über Architektur, Astronomie und Landwirtschaft gebracht. Dafür liefert er spannende Indizien. Aber er verknüpft sie dermassen spekulativ, dass die Glaubwürdigkeit all seiner Überlegungen leidet. Schade. Denn die in der Serie gezeigten, meist als rituelle oder heilige Stätten angelegten Bauten, zeigen spannende Einblicke in das Bewusstsein der Menschen vor fast 12000 Jahren. Was mir geblieben ist: In einer Welt ohne künstliche Lichtverschmutzung waren die Bewegungen am Nachthimmel ein Ereignis, das die Völker überall auf der Erde inspiriert hat. Auch die Orte und Zeiten von Sonnenauf- und -untergängen waren von grosser Bedeutung. Einerseits ganz praktisch, als zuverlässiger natürlicher «Kalender», andererseits waren sie auch mit Mythen aufgeladen, insbesondere natürlich die Sonnenwenden am 21.6. und 21.12.

Und einmal mehr wurde mir bewusst, dass ich den Nachthimmel überhaupt nicht kenne, geschweige denn lesen könnte. Dass ich weder von Pflanzzeiten noch von Vogelarten noch von Insekten wirklich eine Ahnung habe. Ich bin dermassen ein Kind des späten 20. Jahrhunderts, meine eigentlich recht breite Allgemeinbildung hätte mir in keiner anderen Epoche viel genützt. Aber ich spüre immer wieder eine Sehnsucht danach, tiefer verbunden zu sein mit den Kreisläufen der natürlichen Welt. Meine zivilisierte Umgebung kommt mir oft fast schockartig fremd vor: Frauen im Warenhaus, mit kaum einem sichtbaren Flecken ungeschminkter Haut, ergreifen mit überlangen Plastik-Fingernägeln Produkte, die in einer natürlichen Welt niemals nachwachsen würden (höchstens schimmeln). Jungs in der S-Bahn tauschen mit Bluetooth-Knöpfen im Ohr und in synthetischen Bomberjacken auf ihre Handys starrend einsilbig über die Games aus, die sie währenddessen weiterspielen.

Was ist passiert mit uns?, denke ich dann jeweils. Und erinnere mich an einen Sommer meiner Jugend, als ich während einer Woche jeden Tag im Frutiger Gand war und mit Freunden herumkletterte und sang und las und diskutierte, ohne Uhren und Handys, und nach wenigen Tagen wussten wir, wie hoch der Schatten unterhalb des Elsighorns stand, wenn es Zeit war, nachhause zu gehen. Eine der schönsten Wochen meines Lebens.

Und jetzt tippe ich das in meinen Computer, mit dem ich auch meine Musik aufnehme und meine Konzerte organisiere. Ich bin keine Ausnahme.

Damit, dass das neue Jahr jeweils 10 Tage verspätet beginnt, habe ich mich inzwischen gut arrangiert: Jeweils am 21.12. nehme ich mir Zeit, um zurückzublicken und ein bisschen Bilanz zu ziehen. Daraus ergeben sich Ideen, was im neuen Jahr wichtig werden könnte. Und an denen kann ich dann 10 Tage herumkauen, bevor ich in der Silvesternacht vielleicht tatsächlich Vorsätze fasse.

In meinem urban-zivilisierten Alltag Fenster zu schaffen, in denen ich mich erinnern kann, dass ich ein «Naturprodukt» bin, ist fast jedes Jahr wieder auf der Liste…

Ich wünsche auch Ihnen allen ein inspiriertes neues Jahr auf dieser Welt, die es schon lange vor den Steckdosen gab.