Bald bekommen wir grad zwei neue Mitglieder des Bundesrates. Das ist spannend, sorgt aber für verhältnismässig wenig Aufregung im Land. Wenn es etwas gibt an unserem politischen System, auf das ich fast uneingeschränkt stolz bin, dann ist es die flache Hierarchie unserer Regierungsstruktur. Die Geschicke eines Landes auf sieben Personen zu verteilen ist immer noch genug Macht- und Verantwortungsballung.

Dass Menschen, die es ins Zentrum der Macht zieht, meist einen gewissen Geltungsdrang haben ist vielleicht nicht schön, aber irgendwie nötig. (Das stimmt übrigens auch für Menschen die sich «anmassen» Kolumnen zu schreiben…) Bei gewissen internationalen Exponent:innen frage ich mich aber schon: Ist das noch der Antrieb von starken Überzeugungen und die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen? Oder dominieren da eigentlich krankhafte Persönlichkeitsstörungen (ich meine nicht nur Trump)? Ganze Länder werden repräsentiert von Menschen, die in einem bodenständigeren Umfeld kopfschüttelnd irgendwo versorgt würden, wo sie nicht allzu viel Schaden anrichten können – und wo man sie in der Kaffeepause nicht aushalten muss.

Wer sind denn die «Guten» in der Politik? Nach den vielen Jahren weisser, männlicher Dominanz heisst es vielerorts: Frauen, Menschen mit diversem kulturellem Hintergrund, Junge. Kurz: jene, die bisher zu oft übergangen wurden. Das ist mir theoretisch auch sympathisch.  

Aber ich erinnere mich noch, als Barack Obama im Wahlkampf war. Ich fragte einen bereits etwas älteren amerikanischen Freund, was er sich von einem schwarzen Präsidenten erhoffen würde. Er zögerte und sagte: Wir werden sehen, die meisten schwarzen Präsidenten, die es bisher gab, waren Idioten. Er dachte an zu viele diktatorisch ambitionierte Präsidenten in afrikanischen Ländern. Mich hat er mit dieser etwas tristen, aber unbestechlichen Perspektive aufgeweckt damals. Politische Aggression ist nicht eine Frage der Hautfarbe, der Herkunft oder des Geschlechts. Grossbritannien führt das gerade wieder vor: Auch der neue Tory-PM mit Migrationshintergrund stellt ein stramm nationalistisch ausgerichtetes Kabinett zusammen. Die Kurz-PM Liz Truss zeigte (ganz nach ihrem ebenfalls weiblichen Vorbild Thatcher) keine Anzeichen, ihre Politik ins Zeichen einer «weiblichen Empathie» stellen zu wollen. Einige der radikalsten rechten Politiker:innen Europas sind aktuell Frauen. Und in Österreich hat sich der junge Sebastian Kurz rasch in den altbekannten Fallstricken aus Bestechlichkeit und Klientelpolitik verfangen.

Auch ein historischer Opferstatus ist keine Garantie für weniger politischen Egoismus. Die israelische Siedlungspolitik ist nur ein trauriges Beispiel. Die Geschichten wiederholen sich von gemarterten Minderheiten, die zu ebenso gewaltbereiten Mehrheiten werden. Es sind die Mechanismen der Macht. Es ist bereits absehbar, dass wir vermehrt Unschönes lesen werden über Selensky und die ukrainische Armee – was selbstverständlich nichts daran ändert, dass sie sich zu Recht wehren und ich ihnen Erfolg wünsche. Aber auch der Krieg hat seine Mechanismen, und diese erzeugen leider meist hässliches von allen Beteiligten.

Die Mechanismen der Macht sind nicht nur stark, sie haben auch etwas Zwingendes. Einmal während der US-Vorwahlen 2016, als ich noch auf Bernie Sanders hoffte, erschrak ich plötzlich: Bernie, der als Oberbefehlshaber die Kriege in Afghanistan und im Irak übernehmen muss? Bernie, der mit Drohnen Terroristen sprengen lässt, weil auch er keine Soldatenleben riskieren will? Bernie, der uns nicht mehr die ganze Wahrheit sagt, weil er als Präsident auch für Geheimdienste und Spionage verantwortlich ist? Bernie wäre als Präsident zwangsläufig genauso eine Enttäuschung geworden, wie es Obama in vielen Punkten war. Obwohl beide (vermutlich) anständige Menschen sind.

Aber Anstand – das bleibt ein gutes Kriterium. Wenn einem auch die Gesinnung einer Führungsperson missfällt, bewahrt Anstand an der politischen Spitze immerhin den inneren Frieden. Unser System verhindert den grenzenlosen Aufstieg allzu gestörter Persönlichkeiten – und begünstigt (meist) den Aufstieg anständiger Leute. Auch dafür bin ich dankbar.