Wer mich einigermassen kennt, würde es vielleicht nicht erwarten, aber ich wollte als Teenager mal Fussballfan werden. Ich hatte es mit Eishockey probiert, bin mehrmals nach Langnau zu den Tigers gefahren, einmal sogar in die Hauptstadt zum SCB. Aber mir ging das alles zu schnell, schon nach dem ersten Drittel waren meine Zehen gefroren und ich fand es wahnsinnig laut. Der nächste Versuch war dann eben Fussball, YB war naheliegend, der FC Thun war damals noch kein glamouröses Thema. Beim zweiten Spiel hatte ich jenen Moment der Erkenntnis, dank dem ich mein Problem verstand. In der YB-Kurve um uns herum war man sich einig, der Schiri habe gegen die Mannschaft gepfiffen und machte diesem Ärger lautstark Luft. In meiner grundsätzlichen Bereitschaft, die Erfahrung «Fussballspiel» ganz und gar zu machen, brüllte ich mit, so laut ich konnte, bis mir bewusst wurde, was wir schrien: «Schiri, du (wüstes Wort)!» Als gut erzogener Frutigländer wusste ich natürlich, dass man das nicht macht. Ehrlich gesagt, ich hatte den Spielzug, um den es ging auch gar nicht gesehen, ich war zu klein. Der Schiri tat mir ein bisschen leid. Warum ich nicht für jene jubeln sollte, die eindeutig besser spielten, leuchtete mir nicht ein. Hingegen leuchtete mir durchaus ein, dass ich nicht mitten in dieser gelbschwarzen Menge «Bravo» rufen konnte, wenn ein Manöver gegen YB besonders schön gelungen war. Es war offensichtlich, ich taugte nicht zum Fan. Seither weiss ich von mir, dass ich das nicht kann: Ohne Wenn und Aber zu einem Team gehören, oder zu einem «Lager».

In der Pandemie waren wir wohl alle mal mit der Frage konfrontiert, zu welchem Lager wir gehören. Auch das fiel mir schwer. Man will sich doch frei bewegen können. Und wenn man mich «einen Linken» nennt, werde ich hibbelig. Jene Werte und Überzeugungen, für die man diese Schublade auf mich anwendet, hatte ich nämlich schon bevor ich überhaupt wusste, dass es in der Politik links und rechts gibt. Im Frutigen unserer Jugend gab es keine «Linken», die uns rekrutiert hätten, und Parteimitglied bin ich nach wie vor nirgends. Wenn ich sagen müsste, woher meine Überzeugungen kommen, würde ich wohl die Sonntagsschule nennen, und zahlreiche Songtexte von (oft christlichen) Hardrockbands: Gerechtigkeit für die Schwächeren, Nächstenliebe als höchstes Gebot, das Ideal 7×70 Mal zu vergeben (wenn man es kann), nicht primär nach irdischem Reichtum zu streben, die Offenheit des barmherzigen Samariters und natürlich von Jesus selbst, sich nicht an die Konventionen und «Lager» zu halten, wenn man mit Menschen in den Austausch tritt. Ist das Links? Interessanter wäre da die Frage, ob man diesen Werten zustimmt oder nicht, und warum.

Ich habe jetzt 10 Jahre in der Kultur politische Arbeit gemacht, und dabei immer wieder die Erfahrung, wie hinderlich die Lager sein können. Wie immer wieder gescheite Vorstösse ohne inhaltliche Diskussion daran scheitern, dass sie im falschen Lager lanciert wurden. Dass Gewinnen scheinbar heisst, dass andere verlieren müssen. Warum eigentlich? Das Extrem dieses Phänomens führt uns einmal mehr Amerika vor: Die eine Hälfte Amerikas wird wohl auch 2024 wieder einen Mann wählen, der sich in jedem mehrminütigen Interview mit kindischen Übertreibungen und peinlichem Eigenlob als gestörter Egozentriker zeigt, dem man eindeutig keine Verantwortung geben sollte, egal welche politischen Werte er vertritt. Die andere Hälfte wird den oder die Andere wählen, egal wie vorbelastet oder greis die dann sind. Sie können nicht anders, die Armen. Das Zweiparteiensystem Amerikas ist die politische Manifestation der Dummheit des Lagerdenkens. Und richtig gefährlich wird es, wenn auch noch blinde Loyalität gefordert wird. Wenn man gar nicht darüber nachdenken soll, ob das Gesagte einleuchtet, sondern schlicht schimpfen oder jubeln, je nachdem welche Seite gesprochen hat. «Als Linker musst du, als Patriot musst du, als Konservativer musst du.» Ist es nicht schön, wenn man gar nichts muss, ausser selber denken?

Ich bin also kein Linker, und ich fühle mich frei, das so zu schreiben, weil es eben nicht heisst, dass ich deswegen ein Rechter oder einer in der Mitte sein muss. Genauso wenig, wie ich zum FC Basel Fan werde, nur weil ich YB verschmähe.