„Das Filmgesetz wird wohl kein grosses Thema sein, es gibt ja kein einziges gutes Argument dagegen“, orakelte ich vor ein paar Monaten. Tja. Ungläubig habe ich zugesehen, wie in den vergangenen Wochen die windschiefen Argumente der Nein-Kampagne ernsthaft verhandelt wurden. Es gehört natürlich zur Demokratie, dass beide Seiten ihre Sicht darlegen können. Aber das Missverhältnis von gewichtigen Argumenten in dieser Debatte ist doch beklagenswert.
Das aus meiner Sicht einzige zutreffende Argument gegen die schlecht betitelte „Lex Netflix“ ist idealistisch verstandener Liberalismus: Der Staat soll nirgends regulieren. Aber der Staat reguliert natürlich sehr viel und meist mit Unterstützung der Wirtschaftskreise, die sich nun plötzlich so idealistisch geben – sei es in der Landwirtschaft, in sämtlichen Import-Bereichen, in der Rüstung: Überall gibt es Regeln zur Marktteilnahme.
Das Filmgesetz ist nicht mehr als die Aktualisierung eines politisch breit akzeptierten medienpolitischen Grundsatzes, unter dem die internationalen Privatsender mit Schweizer Werbefenstern schon lange arbeiten. TV hat sich mit den Streamingdiensten verändert, logisch dass auch für sie diese Regeln gelten sollen. So einfach. Keine Preiserhöhungen, auch keine Bevormundung, was man schauen soll. Oder ist es auch „Bevormundung der Konsumentinnen“, wenn Schweizer Milch dank Subventionen und Importregeln erschwinglich bleibt?
Das neue Filmgesetz ist immerhin ein kleiner Schritt in die richtige Richtung: Nämlich die internationalen Entertainment- und Social Media-Plattformen endlich auch lokal in eine gewisse Mitverantwortung zu nehmen. Diese Plattformen entziehen den einheimischen Märkten die Werbeeinnahmen und Kundinnen, sie vermeiden Steuern, wo sie können, und bekämpfen alle Versuche, sie lokalen Gesetzen zu unterstellen. Ich könnte von Google oder Facebook schreiben, aber bleiben wir beim Entertainment: Die Film-Streamer machen 300 Mio Umsatz in der Schweiz und versteuern vor Ort keinen Franken. In der Musik (die mit dem Filmgesetz natürlich nicht geregelt wird): Spotify hat in der Schweiz 1,4 Mio bezahlende Nutzerinnen, bezahlt für diese Einnahmen aber keine Steuern hier und „für die Schweiz“ arbeitet: Genau eine Person, und zwar „nebenbei“, während sie in Berlin auch den deutschen Markt betreut. Kein Wunder, dass auf der wöchentlichen Playlist mit neuer Musik für die Schweiz mehr deutsche Bands vertreten sind als einheimische. Woher soll diese Person in Berlin auch wissen, was in der Schweiz läuft und von Bedeutung wäre? (Sie merken, am liebsten wäre mir, man würde nicht nur von den Filmstreamern 4 % verlangen, sondern alle Tech-Firmen für ihre Umsätze vor Ort Steuern bezahlen lassen. Die EU arbeitet schon lange an der Idee…)
Nun kann man sagen: Egal, der Kultur-Markt ist halt international, die Schweizer müssten halt bessere Musik und Filme machen, es braucht keine Regulierungen. Aber das zeugt nicht nur von Respektlosigkeit, sondern auch von himmelschreiender Unkenntnis über die Vermarktungsmöglichkeiten der Kulturproduktion. Vergleichbar könnte man auch sagen: Es braucht keine geregelten politischen Strukturen, die guten Ideen setzen sich schon durch. Das stimmt eben nicht, denn wie kommt eine Idee zur Realisierung? Es braucht Plattformen, auf denen man sie zeigen kann, organisierte demokratische Prozesse und oft auch eine Regulierung der Sprechzeit, denn sonst quatschen immer nur die lautesten.
Lassen wir uns und unsere einheimische Kultur nicht einfach von den internationalen Riesen überfahren, setzen wir ein (immerhin kleines) Zeichen, dass auch multinationale Konzerne in ihren Märkten Mitverantwortung tragen: Ja zum Filmgesetz am 15.Mai.
PS: Selbstverständlich dürfen danach alle weiterhin schauen und hören, was sie wollen. Sie dürfen ja auch trotz „Cassis de Dijon“-Gesetz Schokolade aus Deutschland kaufen. Wenn Sie sich das antun wollen.