Was bleibt übrig von dem, was vorher war? Diese Titel-Frage stelle ich mir momentan in Bezug auf diverse Themen. Zuhause. Gesellschaft und Trump. Gesellschaft und Corona.

Ich schreibe diese Kolumne zum ersten Mal von Urtenen aus, genau gesagt, am ersten Abend, den wir in unserer neuen Wohnung verbringen, in einem noch grösseren Haus mit noch mehr Mitbewohner*innen. Unsere WG ist zu einer veritablen Generationen-Gemeinschaft geworden. Das bedeutet auch Abschied von unserem Haus in Bolligen und der grandiosen Aussicht dort. Neue Arbeitswege, neue Einkaufswege. Neue Lichtstimmungen, die die Tageszeiten ankündigen. Neue Gerüche, Geräusche, neue Gesichter, die einem regelmässig begegnen werden. Nun werden in der Wohngemeinschaft die Konstellationen durcheinandergeworfen, und was bleibt übrig, von dem was vorher war? Welche speziellen Freundschaften, welche Rituale, welche Tagesabläufe, welche Momente der Inspiration, aber auch welche Aspekte des Zusammenlebens, die manchmal genervt haben? Alles kann sich nun weiterentwickeln.

 

Was bleibt übrig von dem, was vorher war? Wenn Trump tatsächlich abgewählt ist und es hoffentlich zu keinem Bürgerkrieg kommt in den USA, wie wird sich das auswirken auf die internationale Politik? Auf jene Gruppen, die auch einfordern, alles sagen zu können, auch wenn es hässlich und destruktiv und giftig ist, denn «das muss man doch sagen dürfen!» Werden sie wieder leiser, wenn sie keinen Weltmacht-Präsidenten an ihrer Seite wissen? Wird die krasse Polarisierung, die im Moment vielerorts passiert wieder abnehmen, wird man wieder besser aufeinander zugehen und einander zuhören können? Oder bleibt eben genau das von Trump übrig: Dass sich der Umgangston der Politik nicht mehr unterscheiden muss von jenem in einer Umkleidekabine?

 

Was bleibt übrig von dem, was vorher war? Wenn Corona hoffentlich einmal so weit ausgestanden ist, dass es keine täglichen Meldungen dazu mehr in der Zeitung gibt, was bleibt dann? Welche Kulturlokale wird es noch geben, welche Arbeitsplätze, welche Kreativen werden übrig sein, die sich keine anderen Berufe suchen mussten? Und was wird übrig sein von der gehässigen Diskussionskultur, die entstanden ist? Werden die alten Bekannten, die einander wegen verschiedener Auslegungen wissenschaftlicher Daten entfreundet haben, sich wieder begegnen? Werden wir eine Lektion gelernt haben darüber, dass es zwar eine Wahrheit gibt, aber nicht unbedingt nur einen Weg, daraus einen Handlungsplan abzuleiten? Täusche ich mich vielleicht, und die Maskenpflicht ist tatsächlich der Anfang eines neuen totalitären Staates, der über sonst hohe Parteigrenzen hinweg beschlossen hat, nun seine Bürger*innen im grossen Stil anzulügen und zunehmend zu verknechten – das ganze ohne klar erkennbares Ziel dahinter? Ja, vielleicht lasse ich mich täuschen von der historischen Gewohnheit, dass Diktaturen sonst eher aus Einparteiensystemen entstehen? Vielleicht täusche ich mich ja auch nicht. Was dann? Werden jene, die jetzt das Schlimmste kommen sehen, überhaupt wahrnehmen wollen, dass es doch nicht so dramatisch war? Und: Wird sich die Politik vielleicht sogar einmal entschuldigen für jene Massnahmen, bei denen die Zeit gezeigt haben wird, dass sie doch überreagiert waren? Und: Werden unsere Leitmedien sich wieder mehr Mühe geben, ausgewogen über alle Aspekte zu berichten, ohne dass jeder Artikel zum Meinungsartikel, zum Positionsbezug wird? Werden wir abweichende Standpunkte wieder als Bereicherung sehen können, und im freundlichen Austausch vielleicht nicht immer Einigkeit, aber immerhin etwas Verständnis untereinander finden?

 

Was bleibt übrig von dem, was vorher war? Wir, hoffentlich. Zusammen, hoffentlich. Friedlich miteinander, hoffentlich. Im Gegensatz zur Frage, ob die Pandemie schlimm ist und wie man mit ihr umgehen sollte, können wir zu dieser Perspektive einer erhoffenswerten Zukunft alle etwas beitragen.

Es ist wie in der alten Geschichte: Der böse oder freundliche Wolf, welcher überlebt? Jener, den wir füttern.