Kennen Sie das? Man wartet gerade auf den Zug und hat Zeit, sodass sich eine Idee weiter und weiter spinnen kann. Man steigert sich in ein Szenario hinein, wie alles sich entwickeln könnte, und dann verselbstständigt es sich … Eine blühende Fantasie hat ihre Vor- und Nachteile. Meine blühte kürzlich so:

In der Schweiz herrscht kurz vor den Wahlen im Herbst 2019 Ausnahmezustand:

Die Börsenkrise von 2018 hat die Weltwirtschaft ruiniert, die Banken mussten die Zinsen hochschrauben, die weltweiten Finanzströme und damit auch die Handelsströme sind zum Erliegen gekommen – niemand weiss so recht, wie es weitergehen soll. Das ist das eine Problem. Das andere ist, dass ein weiterer Hitzesommer die Schweizer Bauern in gros se Not gebracht hat, Tiere sind verdurstet, Ernten ausgefallen, und aufgrund der weltwirtschaftlichen und klimatischen Katastrophe kann die Schweiz auch nicht auf Gemüse, Früchte und Getreide aus anderen Weltregionen zurückgreifen: Spanien ist bankrott, Italien am Rand eines Bürgerkrieges, die Transportrouten aus Afrika geschlossen. Nordeuropa hat seine eigenen Versorgungsprobleme, von da kommt auch keine Hilfe. Ein Bewusstseinsschock prägt die Wahlen: Der Neo-Liberalismus hat ins Desaster geführt, die Wirtschaftskapitäne sind auf entlegene Ferienresidenzen geflüchtet, ihre Stammhalter im Parlament sind in arger Erklärungsnot und damit schlägt bei diesen Wahlen die Stunde der Linken: Es kommt zu einem erdrutschartigen Sieg der Grünen, bei denen sich intern eine radikale neue Stimme durchgesetzt hat: Die Aktivistin Olga Krass, die in der folgenden Wintersession auch gleich in den Bundesrat gewählt wird. Der SVP-Sitz von Ueli Maurer ist nach den Wahlverlusten nicht mehr zu halten. Frau Krass hat das Parlament hinter sich und treibt die verbliebenen Bundesräte in den Rücktritt: Im Herbst 2021, nach zwei weiteren Hitzesommern, Staatspleiten in den USA, Grossbritannien, Griechenland und diversen osteuropäischen Ländern halten fünf grün-radikale Bundesräte die Schweiz fest in der Hand. In der EU herrschen Auflösungserscheinungen: Deutschland, Österreich und Holland haben EU-kritische, nationalistische Regierungen gewählt. In der Folge haben regelrechte Hetzjagden auf Flüchtlinge und Migrantinnen begonnen, denen man die Schuld für die ganze Krise in die Schuhe schiebt. Es beginnt eine innereuropäische Fluchtbewegung, die entweder in den noch etwas stabileren skandinavischen Ländern endet oder aber in der Schweiz. Die neue Regierung hat jede noch so milde Form von Ausländerfeindlichkeit unter Strafe gestellt, Europa und die Schweiz seien durch die Jahre der Ausbeutungspolitik gegenüber den südlichen Ländern selbst Schuld an den Flüchtlingsströmen. Unliebsame Parteien werden verboten, die grossen Banken und Firmen sind verstaatlicht, in allen leitenden Positionen werden mindestens 60 Prozent Frauen installiert, die ehemaligen Manager müssen mit Fussfesseln überwacht gemeinnützige Arbeit leisten. Den Flüchtlingen wird ein bedingungsloses Grundeinkommen bezahlt und in gezielt durchmischten Quartieren sind Schulen und Institutionen darauf ausgerichtet, eine rasche Integration zu ermöglichen.

Die wehrhafte Frau Martullo-Blocher sitzt nach einer angriffigen Rede im Regionalgefängnis und versucht von dort, mit rechtlichen Schritten gegen ihr Schicksal zu kämpfen. Dafür hat sie allerdings wenig Handhabe: Nach der Annahme der Selbstbestimmungsinitiative im November 2018 hat die neue grüne Regierung im Rahmen ihrer radikalen Reformen rasch die Völkerrechtsverträge gekündigt, der Austritt aus der UNO steht kurz bevor. Die Weltwoche-Zeitung ist zwar längst verboten, erscheint aber noch als handkopiertes Widerstandsblatt. Der untergetauchte Chefredaktor Köppel schreibt im Leitartikel: «Da hat uns die Linke jahrelang gepredigt, Menschen- und Völkerrechte seien zum Schutz der Schwachen da, und was tun diese Politiker nun, da sie selbst die Starken sind? Es ist absurd!»

Da fährt der Zug ein, ich erwache. Uff. Was für ein absurder Tagtraum