Es guets Nüüs, Ihnen allen! Ich hoffe, es fühlt sich „neu“ an für Sie, und falls Sie sich eine Veränderung gewünscht haben, dass der Jahres“wechsel“ auch seinem Namen gerecht wird. In dieser Zeit der „besten“ Wünsche und Vorsätze werden mir immer Tücken der Sprache bewusst. Vielleicht nehme ich Wörter auch zu wörtlich? Schon als Teenager habe ich meine Mitschüler genervt: Wenn jemand (Entschuldigung im Voraus) „Gopfertammi!“ sagte, habe ich gefragt: „Söll er würklich?“
Kürzlich auf dem Markt in Bern belauscht:
Sie: „Machsch o no chli Ferie?“
Er: „Ja, aber weiss no nid wo.“
Sie: „I würd uf Frankriich, dasch immer schön.“
Er: „Ja Frankriich scho, aber d’Franzose, die sy furchtbar.“
Sie: „Chumm jitz, das chame emu nid so säge.“
Er: „Die chame mir a alli zämebinde u i ds Meer schiesse.“

Ich weiss ja nicht, was der arme Mann für Erfahrungen mit Franzosen gemacht hat, und ich hoffe mal, dass er sich die tatsächliche Umsetzung seines Wunsches nicht in realer Umsetzung vorgestellt hat. Vor dem ersten August schlug der Präsident der Juso Schweiz vor, man könne ja auch mal auf die Schweizer Fahne verzichten. Bei den Online-Kommentaren dazu, schlug ein Leser vor, man solle Molina an die Wand stellen und erschiessen. Tausende Leute klickten auf den „Like“-Knopf bei diesem Kommentar. Auch da bleibt nur die Hoffnung, dass sie sich nicht bewusst gemacht haben, was der Vorschlag tatsächlich bedeuten würde. Mit Redewendungen ist man wohl immer schon unvorsichtig umgegangen. Die digitale Öffentlichkeit hat inzwischen einige Politiker zu Entschuldigungen oder gar Rücktritten genötigt, weil ihre im privaten Kämmerlein getippten verbalen Ausrutscher via Twitter oder Facebook breit gestreut wurden. Wer sich öffentlich äussert, sollte auch „beim Wort genommen“ werden können. Es ist ein Wahljahr, eine gute Zeit für erhöhte Aufmerksamkeit.
„I ds Meer schiesse“, z.B. ist ein Ausdruck, den man momentan ächten sollte. Es werden nämlich tatsächlich Menschen ins Meer gestossen, Kinder, Frauen, Männer, die versuchen Krieg und Terror zu entkommen. Und wenn sie die Reise überleben, landen sie in einem friedlichen und vergleichsweise wohlhabenden West-Europa, in dem niemand so recht etwas mit ihnen zu tun haben will. Wie wäre es, wenn wir einen neuen Ausdruck prägen? „Uf Italie ga abhole“ würde dann für eine Schweiz stehen, die aktiv ihre Verantwortung wahrnimmt, als sicherer und (auch vergleichsweise) enorm wohlhabender Hafen.
Wird wohl nicht passieren, solange man sich in der Schweiz nicht entscheiden kann, was man nun eigentlich meint mit „Usländer“. Flüchtlinge, die an Leib und Leben bedroht sind? Steuerbeschenkte Reiche aus der ganzen Welt? Anständige geldbringende Touristen? Freche Touristen? Kinder von Zugewanderten? Bis in welche Generation, und auch wenn sie nicht kriminell werden? Hilfsarbeiter, dank denen unser Gemüse so günstig ist?
Ebenfalls als Teenager habe ich etwas gelernt, was meinen Wortschatz rückblickend eher negativ geprägt hat. Nachdem ich es 16 brave Jahre lang vermieden hatte, das Fluchwort (Entschuldigung im Voraus) „Huere“ zu gebrauchen, erklärte mir ein Deutschlehrer, dass das kein Fluchwort sei. Die Oberländer Form legt es nahe: „Uhuere“ ist die Dialekt-Version von „ungeheuer“. Das macht auch bedeutend mehr Sinn als eine dreckige Bezeichnung für Damen aus dem Milieu zum Adjektiv um zu nutzen. Nachdem ich das gelernt hatte, hat sich das Wort dann auch in meinen Wortschatz eingenistet. Die Erklärung, ein bestimmtes Wort sei nicht „wüst“, ist natürlich bedeutungslos, wenn die Verwandten und die Gesellschaft an sich beschlossen haben, es sei „wüst“. Der aktuelle Konsens über die Bedeutung eines Wortes bestimmt, wie es verstanden wird.
„Usländer“ ist nicht der einzige ungeklärte Begriff bei uns. Auch „Menschenrecht“, „Humanitäre Tradition“, „Unabhängigkeit“, „Neutralität“ usw. dürften uns weiter zu tun geben. Ich bin gespannt, ob wir in den nächsten Jahren wieder einen Konsens für diese Begriffe finden.