Heute habe ich gelesen, dass sich die Menschheit seit 1970 verdoppelt hat. Was sagt man dazu? „Irgendwo müssen die wohl sein, aber sie müssen ihr Haus ja nicht gerade vor meiner Nase bauen“, vielleicht?
Nach neun Jahren im Westen Berns bin ich diesen Sommer umgezogen. Nun bin auch ich fast wieder ein Land-Bewohner, knapp ennet der Agglomerationsgrenze: Wenig weiter unten ragen die Wohnblöcke des Pendlerdorfes Bolligen ins Blickfeld. Der Wegzug aus der Stadt Bern hat mir bei der letzten Abstimmung eine Entscheidung erspart, die wie so oft nicht ohne gemischte Gefühle zu fällen gewesen wäre.
Es ging darum, ob man die überlastete Bus-Linie 10 zwischen Köniz im Südwesten und Ostermundigen im Nordosten zur ökologisch schonenderen und viel mehr Passagiere fassenden Tram-Linie erweitern soll. Auch das oberhalb von Köniz sehr ländlich gelegene Schliern sollte erschlossen werden. Das Stimmvolk hat die Vorlage abgelehnt, allerdings wie so oft nicht geschlossen, sondern entlang eines Stadt-Agglo-Grabens. Die Stadt Bern samt dem Westen hat Ja gesagt. Ostermundigen und Köniz/Wabern haben abgelehnt.
Nun entbrennt wie immer die Diskussion über die Deutung dieser Ergebnisse. Es wird beklagt, die Zentrumsregion wolle wachsen, aber nicht alle wollten die Infrastruktur für dieses Wachstum mittragen. Umgekehrt wird natürlich Einiges an den Details der Vorlage kritisiert, teils sicher gültige Punkte, aber kaum Argumente mit genug Gewicht um die Ablehnung ganz zu erklären.
Will die Zentrumsregion wachsen? In Bolligen (das auch dazu gehört) wurden vor einigen Jahren grosszügige Einzonungen geplant, die der Gemeinde Wachstum ermöglichen sollten. Die etablierten Parteien stützten das Vorhaben, alles lief nach Plan, bis sich ein parteiloser Verbund von Bürgern aus verschiedenen betroffenen Ortsteilen zusammenschloss und die Zonenplanänderungen mit einem Grossaufmarsch an der Gemeindeversammlung bachab schickte. Wäre es anders gekommen, hätte nun wohl auch ich am neuen Wohnort eine Baustelle oder Neubauten in der schönen Aussicht. So gesehen müsste es mich freuen. Aber… immer dieses Aber…
Die Bolliger Einzonungen scheiterten an den Direktbetroffenen. Die Zentrumsregion, die angeblich wachsen will, ist kein Mensch, und die Menschen darin stört vielleicht nicht das Wachstum an sich, aber es stört sie, wenn es vor ihrem Balkon stattfinden soll. Da bin ich keine Ausnahme. Geht es Ihnen in Frutigen ähnlich wie mir? Die neuen Quartiere beim alten Flugplatz sind keine Augenweide, und jede grüne Matte, auf der die Baupfeiler gesetzt werden, tut ein bisschen weh.
Heute habe ich gelesen, dass sich die Menschheit seit 1970 verdoppelt hat. Was sagt man dazu? „Ich war vorher da“, vielleicht?
Ich beneide unsere Amtsträger nicht, die weltweite Entwicklungen in unserem kleinen Land in geregelte Bahnen lenken müssen. Notabene in Zusammenarbeit mit dem stimmberechtigten Volk, das oft keine Lust hat auf diese Entwicklungen. Das Wachstum stoppt nicht, wenn wir kein Tram bauen um es zu transportieren. Es stoppt auch nicht, wenn wir uns in einer geschützten Zone einmauern: Jeder Damm bricht, wenn der Druck von aussen gross genug wird.
Und vielleicht ahnen Sie, worauf das hinausläuft: Wenn wir am 30.11. unsere Meinung zur Ecopop-Initiative abgeben dürfen, werde ich dagegen stimmen. Nicht weil ich mich auf alles freue, was aus der Welt auf uns zukommt. Sondern weil meine Unlust darauf in der langen Sicht nichts verhindern wird.
Heute habe ich gelesen, dass sich die Menschheit seit 1970 verdoppelt hat, und sie wächst rasant weiter. Eine Landesgrenze dürfte der globalen Entwicklung ziemlich egal sein. Nutzen wir die Zeit besser, uns auf unausweichliche Veränderungen vorzubereiten und konstruktive Ideen zu entwickeln. Sind wir auch bereit zu Wachstumskritik, wenn weniger Wachstum bessere Verteilung des Wohlstands und damit eine Senkung unseres Wohlstandes bedeutet?
Abschottung jedenfalls ist Zeitverschwendung. Eine möglicherweise gefährliche: Dämme brechen unkontrolliert.
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