Seit bald 11 Jahren lebe ich in Bern. Als ich gefragt wurde, ob ich eine Kolumne im Frutigländer übernehmen würde, dachte ich zuerst, naja, so wichtig ist mein Senf ja auch nicht, dass ich ihn grad in Kolumnenform dazugeben muss. Die meisten meiner übermütig verfassten Leserbriefe schicke ich dann nicht ab, weil sich die Dringlichkeit meines Ärgers schon vor dem letzten Absatz verflüchtigt. Aber als ich kurz überlegte, was ich denn in Kolumnenform in die Heimat schicken würde, fielen mir doch sehr rasch eine ganze Reihe Begebenheiten ein, die ich jeweils gern erzähle, wenn das Gespräch auf den Stadt–Land–Graben kommt. Und so habe ich nun diese Ehre angenommen, meine Gedanken ab und zu mit Ihnen zu teilen.
Dass die ländliche Heimat und die nur 50 Minuten entfernte Stadt manchmal unerwartet weit auseinanderliegen, hat mir etwas sehr Alltägliches schon beim Umzug gezeigt. Als ich das Oberland verliess (nach der Kindheit und Jugend in Frutigen und 3 Jahren in der Region Thun), stand ich kurz vor der Veröffentlichung meiner ersten, damals noch englischen CD. Ich hatte entscheiden müssen, welchen Künstler-Namen ich darauf schreiben wollte. „Christoph Trummer“ fand ich zu gewöhnlich (was man sich vielleicht neu überlegen könnte, jetzt wo eine „Beatrice Egli“ Furore macht), sowas wie „Chris Trummer“ zu künstlich. Die Entscheidung, nur mit dem Familiennamen aufzutreten schien dann also Sinn zu machen.
„Jitz ghöre mr dr nöi Song von Trammer!“ heisst es jetzt. Oder: „Ire Viertustung geits uf dr Näbebühni wyter mitem Tschrömmer.“ Muss wohl Englisch klingen… Die Frage, wie ich auf den Namen gekommen sei, wo ich doch gar nicht Schlagzeug spiele, ist zu einem Running Gag geworden bei Interviews. Der in der Heimat sehr häufige Familienname wird „unterhalb“ von Thun erst in den trummerschen Stammlanden in Österreich wieder selbstverständlich als solcher erkannt. Damit hatte ich nicht gerechnet, 50 Minuten von dieser Heimat.
Dass der gesprochene L im Unterland (wo man „Mau i Waud ga loufe“ sagt) für Unterhaltung sorgt, überraschte mich weniger. Ich schäme mich ja ein bisschen dafür, den Dialekt einem angepassten Kantonalberndeutsch geopfert zu haben, trotzdem werde ich jeweils sofort als Zugezogener erkannt. „Wo chunnsch du de här?“, ist die neutrale Version, „Bisch du usem Wallis?“ die mutige. Meine Berner Band amüsierte sich köstlich und trieb ihre Imitation dann manchmal etwas über’s Ziel hinaus: „Schöni Frolle mit schöne Olge!“
Ich habe bis 20-jährig kaum verstanden, was genau sozial, bürgerlich, links und rechts bedeuten. Inzwischen verstehe ich das, einer Partei beitreten würde ich nach wie vor nicht. In Abstimmungen muss ich oft über meinen Schatten springen um zu unterstützen, was ich vernünftig finde, und nicht was der Bauch gerne impulsiv bekräftigen möchte. Als Stadtberner aus Frutigen finde ich mich da in einer seltsamen Lage: Ich stimme ähnlich wie die Mehrheit meiner städtischen Nachbarn, unterliege dann aber kantonal, weil die ländlichen Regionen anderer Meinung sind. Zuhause in Bern höre ich meine Freunde schimpfen über die „Hinterwäldler“ in den „Chrächen“, zuhause in Frutigen höre ich das entsprechende Geschimpfe auf „die z‘Bärn unde“. Ich staune wie fremd man sich ist, und glaube doch, beide Seiten verstehen zu können. Man wirft einander vor, keinen Bezug zur Realität zu haben. Und man hat Recht: Eine einheitliche Realität gibt es nicht einmal in einem Radius von 50 Minuten Fahrzeit. Ich begegne in der Stadt ganz anderen Fragen als auf dem Land. Migration, Familienpolitik oder der öffentliche Verkehr können wohl nicht aus jeder Perspektive gleich beurteilt werden. Nach meinen Erfahrungen als Landei in der Stadt, sind die Leute aber selten so egoistisch oder verbohrt, wie sie von der jeweils anderen Seite eingeschätzt werden. In diesen Kolumnen möchte ich also jeweils von einigen meiner Aha-Erlebnisse beim Pendeln zwischen diesen Welten erzählen.
Schreibe einen Kommentar