Getting there

Im Flugzeug sitzend noch der Gedanke. Das kann ja nicht sein. Dass es Amerika bald wirklich gibt. Bisher ist alles irgendwie mythisch, abgesehen von ein paar Touristen auf Reisen und Musikern auf Bühnen, kenn ich alles nur von Bildern und Bildschirmen.

Ich weiss, ich werde durch den  Central Park streunen, wo Richard Gere mit Winona Ryder spazieren ging, ich werde den Dampf aus den Gullys quellen sehen, wie Ambulanz-Fahrer Nicolas Cage in „Bringing out the Dead“ ich werde die Ferry nehmen, von der Marc Cohn nachhause kam, als er „Ellis Island“ schrieb, ich werde am Washington Square Park stehen, wo Bob Dylan die Hand von Joan Baez hielt, ein Duzend Jahre bevor sie in „Diamonds and Rust“ sang:

Now I see you standing with brown leaves all around and snow inyour hairNow we’re smiling out the window of the crummy hotel overwashington squareOur breath comes out white clouds, mingles and hangs in the airSpeaking strictly for mewe both could’ve died then and there  Das alles scheint noch sehr unwahrscheinlich, auch noch als wir Halifax hinter uns haben…

Nachdem ich zwei Stunden in der Zollschlange verbracht habe, beäugt der Zollbeamte meine Gitarre, stellt ein paar Fragen und sagt schliesslich: „Make sure you don’t stick around longer than your 90 days!“

Ich staune, dass meine Stimme nervös klingt, als ich  mein Rückflugticket erwähnen will, aber er unterbricht und lächelt: „I mean, don’t forget time if you make it big in Hollywood.“

Willkommen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Träume werden zollfrei importiert.

Als ich um zehn Uhr abends im Chelsea Star Hotel -das leider nichts mit dem berühmten Chelsea Hotel zu tun hat, wo Leonard Cohen über Janis Joplin schrieb, Ryan Adams über Beth Orton und Bob Dylan über Sara Lowndes, dort gibt es Zimmer ab 275 $ pro Nacht- als ich da um zehn Uhr schlafen gehe, wäre es in der Schweiz bereits  vier Uhr morgens. Gesehen habe ich noch fast nichts, ausser dem Madison Square Garden, der einem Block neben dem Hotel leuchtet.

Autogehupe weckt mich um 7, das Dorm-Fenster geht auf die 8th Avenue. Bald finde ich mich im Starbucks (!!) wieder, weil man da wireless ins Internet kann, ich beginne sofort auf Craigslist.com eine festere Bleibe zu suchen, verbringe die nächsten Stunden damit, ein Telefon zu kaufen und einzurichten, und bin schon am Abend unterwegs um erste Wohnungen in Brooklyn zu besuchen. Manhattan versuch ich gar nicht erst, gilt als sehr teuer. Unterwegs steh ich irgendwann tatsächlich noch an der Ecke zum Washington Square Park im Greenwich Village, suche überall erfolglos nach einem Hotel, bei dem Bob und Joan im Fenster gestanden haben könnten. (Ich entdecke es erst Tage später hinter einem Baugerüst.)

Getting a place

Im Verlauf der ersten paar Tage auf Wohnungssuche sitze ich also endlos in U-Bahnen und sehe die verschiedensten Ecken von Brooklyn, öfters bin ich erstaunt, dass irgendwie alle Künstler sind hier, dann wieder bin ich erfreut über die spontane Freundlichkeit der Menschen, und einmal fliehe ich in einen Drive-In McDonalds, wo ich zwar auch der einzige Weisse bin, aber mich doch etwas sicherer fühle, als draussen, wo sie mit ihren Ghettoblastern und bösen Blicken an der Ecke stehen, während die schweren Jungs in grossen schwarzen Jeeps etwas zu langsam an mir vorbeifahren…

Schliesslich glaube ich fündig geworden zu sein, ein billiges kleines Zimmer an der President Street, besser wird’s zu dem Preis wohl nicht denke ich, tags darauf frage ich mehr routinehalber noch die junge Latina an der Hotelreception, die in Brooklyn aufgewachsen ist, und zeige ihr die President St auf der Karte.

Sie blickt entgeistert auf und sagt nur: „Don’t go there!“

Ich argumentiere ein bisschen, auch weil ich fast nicht mehr zurückkann, ich habe schon zugesagt.

Sie sagt nur: „Don’t go there!“

Ein paar Aber meinerseits später fügt sie hinzu: „Unless you wanna wake up to gunshots at night, don’t go there.“

Ich mache also einen Rückzieher und gehe wieder auf’s Netz und bin schon ein paar Stunden später sehr sehr froh darum: Am Freitagnachmittag ziehe ich in einem wunderbaren Loft ein, Holzboden, Holzdecke, gut geheizt, hohe Fenster, mit Laurence, 34, Tänzerin und Steve, 34, Schauspieler, 625$ im Monat. Das ist ehrlich gesagt VIEL Glück, soweit ich das nach vier Tagen Wohnungssuche beurteilen kann…

the music

Etwas ziellos wandere ich am Montagabend durchs Village und strande schliesslich im Bitter End, wo ein Jazzrock-Trio spielt, nicht sehr viel Publikum, tolle Musiker. Am Ausgang frage ich den Manager des Clubs, ob und wie man hier zu einer Show kommen könnte.

„Are you from New York? Hast du eine Fangemeinde? You know what: Spiel überall sonst und komm dann wieder, this is an established venue.“

Später komme ich unerwartet am Café Wha! vorbei, dem legendären Keller, wo die ganze Folkgemeinde Anfang der Sechziger abhing. Zuerst sieht’s nach Pech aus, ein grosses Schild an der Tür verkündet: „Unaccompanied Gentlemen can’t get in. Get a date!“ Es ist dann aber kein Problem, ich bekomme einen Tisch und eigentlich könnte man sich alles ganz gut vorstellen, die Sitzecken an der Wand, die Eingangstür, die man von überall im Raum sieht, ich sehe den jungen Dylan mit seiner Posse reinkommen und sich hinsetzen, stelle mir vor, wie er auf die Bühne gebeten wird, die Baez mit ihm raufsteigt, und sich nach ihnen niemand mehr hinauf getraut. Das einzige was diese Vorstellungen stört, ist die Latin-Funk-Band die spielt, mit drei Vierteln schlaffer weisser Studiomusikertypen. Das Café Wha! hat sich neu orientiert.

Was es mit den Clubs im Village auf sich hat, erfahre ich am nächsten Abend. Ich besuche im Cutting Room mit Paul, einer britischen Hotelbekanntschaft, einen Gig von Andrew Holtz, junger Songwriter à la John Mayer, produziert von Ron Haney, der bei den Churchills spielt und ein Freund eines Freundes aus der Schweiz ist. Ron erzählt, die meisten Clubs im Greenwich Village seien heute zu „Bridge and Tunnel“-Clubs geworden. So nennen die „echten“ New Yorker jene Schuppen, in die das Volk aus den Vorstädten am Wochenende über die Brücken und durch die U-Bahn-Tunnel strömt. The real thing, das ist im Moment das East Village, die Lower East Side und besonders Williamsburg in Brooklyn.

Am Donnerstagabend schliesslich stehe ich in einem dieser Williamsburg-Clubs, dem ArtLand, und setze zum ersten Mal meinen Namen auf eine New Yorker Open-Mike-Liste. Um mich herum eine Freakshow aus Drag-Queens und schlecht rasierten Songwritern und zotteligen Songwriterinnen. Einige meiner Mitbewerber hauen mich schlichtweg um, die ganze Anti-Folk-Geschichte um den frühen Beck und neuere Erscheinungen wie Kimya Dawson klingt noch an, genauso der Hype um den schrummelig-betrunkenen Charme der Bright Eyes. Da fühle ich mich kurz etwas altmodisch und 0815. Da das Publikum aber auch eindeutig miserablen Auftritten enthusiastisch zujubelt, weiss ich nicht so recht, was ich mit dem tatsächlich von vielen Seiten geäusserten Lob nach meinen drei Songs anfangen soll…

Meet Sincere

Einer der besonders begeistert auf mich zukommt ist Sincere, ein Schwarzer mit britischem Akzent und kurzen Dreadlocks, er ist mit seiner Freundin Mikal da, sie sieht ein bisschen aus wie PJ Harvey und klingt dann auch so, als sie ihren Auftritt hat.  Sincere redet laut, und falls man ihm irgendetwas glauben kann, worüber ich mir von Anfang an nicht ganz klar bin, war er früher der Host des OpenMikes im legendären CBGB’s, hat unter verschiedensten Namen in Amerika und England Platten produziert und veröffentlicht , hat mit Prince nicht nur Songs geschrieben, sondern konnte auch mal wie der alles selber einspielen, bevor er seinen Arm gebrochen hat. Jetzt ist er auf Suche nach neuer Inspiration und neuen Partnern und mich findet er fucking great, drum soll ich ihm meine Telefonnummer geben. Ich denke, zu verlieren habe ich ja nichts, und singen höre ich ihn, das macht er toll… er ist natürlich ziemlich „over the top“, also durchgeknallt, aber ich sehe ihn zum ersten Mal und er ist betrunken, und man will ja neuen Bekanntschaften ein Chance geben…

Am nächsten Tag ruft er mich tatsächlich an, findet auch die CD, die ich ihm gegeben habe, fucking great und will mich treffen, bevor er am Abend wieder mit Mikal an ein OpenMike geht, wohin ich doch auch gleich kommen soll. Ich treffe die Beiden also, er spielt mir sein eigenes Demo vor, das sehr gut ist,  er selber eben auch fucking great findet, er will, dass er, Mikal und ich eine neue Band werden, „we’re gonna rock the city, man“. Ich äussere mich zurückhaltend, was aber eh untergeht, da er schon weiterredet, von seiner erfolgreichen Vergangenheit, von seinem unermesslichen Talent, und als wir bei dem OpenMike im GrandStreetCentral ankommen, will ich ihn nur noch loswerden. Er setzt dann aber noch einen drauf mit einer völlig misslungenen Jam-Session, die er problemlos rechtfertigen kann: „See the girls over there? They love my shit man, they know all my lyrics. They like you too, man, don’t go home now…”

Doch, doch, ich geh jetzt heim. An diesem Abend habe ich auch noch einige weniger verrückte Leute getroffen und einige Web-Adressen und Telefonnummern bekommen, ich könnte mit diesen Informationen nächste Woche wohl jeden Abend spielen, bin also gespannt.

Meine Roommates, die schon länger in der Stadt leben, schmunzeln nur, als ich von Sincere erzähle. Auf jeden, der mir in dieser Stadt helfen könne und wolle, kämen etwa fünf Idioten, die nur plappern. Das ist wohl die Kehrseite, der hier herrschenden kunstfreundlichen Atmosphäre. Jeder will seinen Teil davon.

Paul, mein neuer Freund aus dem Chelsea Star Hotel, der in Manhattan als Pizzakurier arbeitet, hat es auch schon gemerkt: „Man kann hier zu einem Mädchen nicht sagen, man liefere Pizzas aus, weil der Kerl auf der anderen Seite von ihr garantiert gerade an einem Broadwaystück schreibt oder bald eine Rolle in einer TV-Serie übernehmen wird. Ich sage von jetzt an, ich sei dein Manager, wenn wir zusammen ausgehn, ist das okay?“

Das ist okay, Paul.