Guten Tag. In der Öffentlichkeit wird ja intensiv darüber diskutiert, ob die Meinungsfreiheit noch gegeben sei. Weil man für alles was man sagt, von irgendwem angegriffen wird, egal ob zum Klimawandel, der Gleichberechtigung oder den Wahlen 2019. In der Zeitung habe ich ein Zitat gelesen von einem Philosophen namens Voltaire. „Ich lehne ab, was Sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.“ Das fand ich gut.

Am Abend in der Beiz habe ich dann vor all meinen Kollegen endlich mal ein paar Dinge klargestellt, die mich schon lange beschäftigen: Es gibt gar keine Schwerkraft! Dinge fallen zu Boden, weil sie sich selbst zerstören wollen. Nur sehr robuste Dinge stürzen sich ganz ohne Schaden auf den Boden. Offensichtlich ist auch die Trauer dieser unfreiwillig robusten Dinge über den misslungenen Selbstzerstörungsversuch: Sie bleiben deprimiert liegen.

Ein weiterer Punkt, den ich endlich einmal klarstellen konnte: Hunde sind minderwertige Tiere. Insbesondere im Vergleich mit Schildkröten. Hunde brauchen viel mehr Aufmerksamkeit. Sie werden viel weniger alt, sie sind zu schwach zum Leben. Und wie sie riechen! Nur eine tote Schildkröte stinkt ähnlich wie ein nasser Hund. Schildkröten tragen ihr Zuhause mit sich herum, aber den dummen Hunden muss man eine Hütte bauen, oder sie sogar in der eigenen Wohnung unterbringen. Denken Sie mal darüber nach! Hunde sollte man verbieten! Das muss man sagen dürfen.

Nachdem ich in der Beiz diese Erkenntnisse präsentiert hatte, ist einer meiner Kollegen mit seinem Hund aufgestanden und hat gesagt, ich sei ein blöder Esel. Ich habe ihn ganz ruhig darauf hingewiesen, dass ich bereit wäre, seine Meinung gelten zu lassen. Ich sei Fan von Voltaire. Nur: Esel oder Mensch, das sei keine Meinungsfrage, da gehe es um biologische Tatsachen. Er hat mich am Kragen gepackt und gesagt: «Hunde und Schildkröten sind nicht vergleichbar, das ist auch eine biologische Tatsache!» Er tat mir etwas Leid, aber ich konnte ihm den Hinweis nicht ersparen, dass er damit falsch lag. Da ich den Vergleich ja gemacht habe, sei bewiesen, dass er machbar sei. Er hat insistiert, das ändere nichts daran, dass er den Vergleich dumm und falsch finde. «Das ist deine Meinung zur Frage, ob man Hunde und Schildkröten vergleichen soll,» habe ich geantwortet, «und auf diese Meinung hast du natürlich ein gutes Recht.»

Er setzte sich wieder hin, aber es liess ihm keine Ruhe. Einige Minuten später sagte er: «Schwerkraft ist aber beweisbar! Das ist wirklich keine Frage der Meinung.»
Darauf war ich natürlich vorbereitet, ich bin ja nicht dumm. «Dann zeig mir die Schwerkraft», sagte ich. Er nahm meine Tasse und liess sie auf den Boden fallen, wo sie in ein Dutzend Stücke zerbrach.
Ich habe gelacht. «Diese glückliche Tasse hat es geschafft, sie hat sich zerstört.»
Er knurrte wie sein Hund. «Jaja, mach dich nur lustig. Hunderte Gelehrte da draussen können wissenschaftlich beweisen, dass es die Schwerkraft gibt!»
Ich zuckte mit den Schultern. «Also mich haben die noch nie überzeugt. Aber wenn seit hundert Jahren nichts anderes mehr gelehrt wird an der Uni, ist es kein Wunder, dass die das alle glauben. Das nennt sich Gehirnwäsche.»

Er ist dann mit seinem Hund nachhause gegangen, die anderen nach und nach auch. Ich habe die Zeitung genommen und da stand schon wieder etwas von Voltaire: Dass das berühmte Zitat gar nicht von ihm stammt. Seine Biografin habe damit Voltaires Gesinnung beschrieben, er habe es aber nie genau so gesagt.
Ach so. Ja. Papier und das Internet glauben alles.