Echt oder nicht? Teil 1
Erinnern Sie sich noch an die EXPO 02? Den nachhaltigsten Eindruck hat bei mir der Erdbeer-Pavillon hinterlassen. Man spazierte eine Viertelstunde durch allerhand meist plastifizierte Objekte die Assoziationen mit Erdbeeren auslösten. Man konnte Vieles kosten, was angeblich nach Erdbeere schmeckte. Das tat es auch, so schien mir. Und erst am Ausgang bekam man eine echte Erdbeere: Was für ein Genuss! Der Unterschied war erstaunlich. Erstaunlich, von wie vielem ich mir tatsächlich hatte weismachen lassen, es habe irgendetwas mit der Erdbeere zu tun, im „Angesicht“ der echten Erdbeere.

Als ich diesen Sommer in Osteuropa unterwegs war, sind mir die Erdbeeren der EXPO 02 oft eingefallen.

So haben wir etwa in Rumänien Fruchtsäfte bestellt, und fast überall frisch gepressten Nektar erhalten. Als wir im touristischeren Istanbul angekommen waren gab‘s vielerorts Sinalco statt Orangensaft und Sprite statt Limonade. Sprich: Überzuckertes, aromatisiertes Sprudelwasser anstatt Fruchtsaft. In türkischen Provinz hörten wir betörende Volksmusik, mit Saiteninstrumenten, Trommeln und emotionsgewaltigen Sängerinnen. Im urbanen Autoradio waren die türkischen Songs mit Discobeats und künstlichen Gesangskorrekturen aus der digitalen Effektkiste gestaltet. (Wer sich darunter nichts vorstellen kann, vergleiche die Klangqualitäten einer naturbelassenen Jodleraufnahme mit dem pseudo-volkstümlichen Bumm-Bumm einer Helene Fischer-Produktion…)

Echt oder nicht? Teil 2 Eben bin ich aus den USA zurückgekehrt. Ich arbeite für den Verband Musikschaffende Schweiz, und hatte die schöne Gelegenheit im Rahmen eines Austauschprogrammes mit amerikanischen Experten Gespräche zum Urheberrecht zu führen. Von Regierungsstellen bis zu Musikerverbänden wie uns selbst. Oft kam das Gespräch auf die seltsame Haltung, die die Schweiz in Bereich Urheberrecht einnimmt.  Unser Land verteidigt den Markenschutz und das Patentrecht vehement, es ist hoch aktiv im Kampf gegen Fälschungen von Uhren und anderen Swissness-Produkten. Beim Schutz der kulturellen Werke hinkt es allerdings als einziges hochentwickeltes Land weit hinterher: In der Schweiz ist es sogar legal aus eindeutig illegalen Quellen gratis Filme und Musik zu kopieren und zu streamen. Die Amerikaner haben dafür nachvollziehbarerweise wenig Verständnis, denn bei ihnen sind genau diese kulturellen Werke ein gewichtiger Teil ihres Exports, wie bei uns die Medikamente oder die Uhren. Kampagnen gegen gefälschte Uhren oder Medikamente sind allerdings wesentlich einfacher zu machen: Man kann davor warnen, dass ungeprüfte Medikamente auch gefährlich sein können, oder zumindest nutzlos. Man kann davor warnen, dass die billig nachgemachte Uhr nicht lange laufen wird. Bei Musik und Film besteht für die Konsumenten der Piraterie-Produkte aber keine Gefahr: Im schlimmsten Fall ruckelt das Bild oder der Klang ist schlecht, aber man hat dafür ja weder Geld ausgegeben noch seine Gesundheit riskiert. Wir Künstler müssen also mit anderen Argumenten kämpfen gegen die Hehlerei mit unseren Produkten. Ich würde mir oft wünschen unsere Werke wären eher mit materiellen Werten vergleichbar. Aber auch die piratisierte Version des Liedes ist das echte Lied.

Echt oder nicht? Das Traurige ist, dass die oben erwähnten Plastikversionen von Geschmäcken und Klängen beliebter sind. Offenbar bleiben wir wie Kinder, die die Gummi-Zucker-Erdbeerknolle einer Erdbeere aus dem Garten vorziehen. Das Echte dem Künstlichen vorzuziehen ist vielleicht nicht immer billiger, aber es gibt andere gute Gründe dafür. Ich plädiere (und bewusst altmodisch): Lieber näher an der Natur bleiben; ist gesünder, schmeckt besser. Lieber die Musik nahe beim Musiker kaufen, als gratis illegale Piratenplattformen nutzen; nur so wird’s weiterhin neue Musik geben. Kurz: Lieber echt und gut und ehrlich.

Denn oft gilt (in Anlehnung an die übelsten Werbesprüche der letzten Jahre): Geiz ist kurzsichtig, und wer’s billiger bekommt, ist vielleicht eben doch blöd.