Es ist wieder viel geschrieben und nachgedacht worden in den letzten Wochen über Nähe und Entfremdung innerhalb eines Landes. Erst gerade hat sich die ukrainische Halbinsel Krim unter internationalem Getöse Russland zugewandt.

Ein Blick ins Geschichtsbuch zeigt, dass viele weltbewegende Konflikte mit Landesgrenzen zu tun haben, die es vor 100 Jahren noch nicht gab, und für die sich die Bewohner dieser Länder nicht selber entscheiden konnten: Syrien und die Ukraine sind nur die prominentesten Beispiele. Und ich vermute, ein freundliches Gespräch mit normalen Bewohnern würde einem Verständnis abringen für die jeweilige Perspektive, egal ob russisch, ukrainisch, kurdisch, schiitisch, sunnitisch.

Da können wir Schweizer uns glücklich schätzen. Unsere Konflikte sind vergleichsweise harmlos, und obwohl Napoleon die innere Struktur der Schweiz massgeblich mitgeprägt hat, sind unsere Kantons- und Landesgrenzen inzwischen kaum mehr umstritten. Was aber nichtsdestotrotz in den letzten Wochen auch viel zu denken und zu schreiben gegeben hat, ist eine neuere Grenze, die nicht mehr entlang der alten konfessionellen Trennlinien verläuft. Der Stadt-Land-Graben, den das Ergebnis der Einwanderungsinitiative wieder einmal so deutlich sichtbar gemacht hat. Da gibt es wohl offene Fragen, die man aneinander hätte.

Ich stelle mir vor, dass sich auf dem Land die Frage stellt, warum ausgerechnet die Städte, die vom „Dichtestress“ am stärksten betroffen sind, Nein gesagt haben.
Auch in den Städten teilt man die Sorge, dass das Land völlig zersiedelt wird. Notabene ist die Bereitschaft, verdichtet zu wohnen gerade in der Stadt vorhanden. Ich (als zugewanderter Städter, der ebenfalls Nein gestimmt hat) vermute, das städtische Nein hat damit zu tun, dass die vielfältigen Verbindungen mit der tatsächlichen „Ausser-Schweiz“ in der Stadt präsenter sind. Obwohl auch im ländlichen Spital Frutigen nicht mehr viel laufen würde ohne Migranten, ist das städtische Leben doch viel stärker durchdrungen vom Austausch mit der Welt da draussen.

Dieses Bewusstsein wird wohl auch in den ländlichen Regionen wachsen, mit jedem „einheimischen Betrieb“ der schliesst. In die Supermärkte zu wechseln, bedeutet nämlich auch, an dieser Welt da draussen teilzunehmen, mit den spanischen Tomaten und den brasilianischen Poulets. Von ihren billigen Produkten und (Saison-)Arbeitskräften profitieren wir, ob sie in der Schweiz sind oder dort. In der Stadt scheint die Bereitschaft höher zu sein, tatsächlich teilzunehmen an der Welt, und ihre Schwierigkeiten in einem gewissen Mass mitzutragen, zumindest soweit, wie auch unsere Nachbarländer das tun.

Auch in der Stadt stellen sich Fragen ans Tal. Etwa: Wie kommt es, dass gerade in den Regionen, in denen christliche Gemeinden die höchsten Mitgliederzahlen haben, so deutlich Ja gesagt wurde zur Initiative? Kann man sich tatsächlich vorstellen, dass Jesus Ja gesagt hätte zur Ent-Solidarisierung mit jenen, die weniger Möglichkeiten haben? Kann man sich vorstellen, dass Jesus gesagt hätte: Jetzt schauen wir erstmal zu uns, und dann sehen wir weiter?

Bereitschaft zu Erklärung und Verständnis ist die Grundlage jedes Dialogs. Deshalb bin ich daran im Internet eine Seite zu bauen, die diesen Austausch ein bisschen mittragen soll. Man wird dort einander Fragen stellen und Antworten anbieten können. Es ist noch im Aufbau, und ich würde mich freuen, wenn sich möglichst viele aus dem LeserInnen-Kreis des Frutigländers beteiligen. Schicken Sie mir an trummer@trummeronline.ch Fragen und Statements, die Sie im Zusammenhang mit dem Stadt-Land-Graben beschäftigen. Dann haben wir einen Startpunkt für den Austausch auf www.stadtlandbrücke.ch. Schön wäre es, wenn wir nicht nur die Entfremdung innerhalb der Schweiz veranschaulichen würden, sondern einen Beitrag leisten können, ihr entgegenzuhalten. Also kein Forum für Streit, sondern ein Forum für Erklärungen, die Brücken bauen.

Bei meiner nächsten Kolumne werde ich erste Ergebnisse präsentieren.